Das Tal
der Hoffnung

2014 erlebte das Latrobe Valley die schlimmste Umweltkatastrophe in der Geschichte Victorias. Damals stand der Kohletagebau Hazelwood, der ganz in der Nähe liegt, 45 Tage lang in Flammen. Für das Latrobe Valley war der Brand nur eine schlimme Erfahrung von vielen.

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charlie-iconVon Charlie Wood
350.org Australia

Mitten in der Region Gippsland, eine gute Autostunde östlich von Melbourne, liegt das Latrobe Valley. Die Landschaft des Tals, das sich zwischen die wunderschönen Bergzüge des Strzelecki-Gebirges und den Baw-Baw-Nationalpark schmiegt, ist von den Narben des mehr als ein Jahrhundert währenden Kohleabbaus gezeichnet. Doch nicht nur die Landschaft wird durch diese Industrie belastet. Das Tal ist eines der grauenvollsten Beispiele dafür, wie die Kohle-, Öl- und Gasindustrie menschliche Gemeinschaften zerrüttet. Die Ökonomie der erneuerbaren Energien darf nicht derselben kranken Logik folgen wie das Wirtschaftssystem der fossilen Brennstoffe. Bei der Klimagerechtigkeit geht es nicht nur um das Abstellen von Treibhausgasemissionen, sondern auch darum, dass wir die Fehler aus dem Zeitalter der fossilen Brennstoffe nicht wiederholen dürfen.

Vor ein paar Wochen schloss ich mich einigen Leuten aus Melbourne an, die ins Latrobe Valley aufbrachen. Wir trafen uns dort mit Heimatforscher*innen, Bergarbeiterfamilien, Anlagenbetreibern, Kindern, Sozialarbeiter*innen, Straßenbaufirmen und anderen. Wir wollten hören, welche Erfahrungen die Menschen vor Ort gemacht haben, und fragen, wie wir helfen können. Wo auch immer man auf der Reise durch das Tal hinkommt, die Hoffnung ist überall zu spüren. Trotz der verstörenden Größe der Schornsteine, der Kühltürme und der schrecklichen Kohlegruben, die in eine Landschaft geschlagen wurden, die mit ihren sanften Hügeln ansonsten atemberaubend wäre, ist der Himmel rein und klar, scheint die Sonne warm und dauerhaft, sind die Menschen stark in ihrem Charakter und Lebensmut.

Die Braunkohle unter dem Latrobe Valley ist, billig und schmutzig, das Hauptmerkmal der Region, seit die ersten Bergbauunternehmen 1888 den Betrieb aufnahmen. Damals war die Kohle, die sie aus der Erde holten, für die Dampfmaschinen bestimmt, die die Energie für die frühe Industrialisierung Victorias lieferten. Heute wird die Braunkohle des Latrobe Valleys vom Hazelwood-Kraftwerk genutzt, dem Kraftwerk, dem die zweifelhafte Ehre zukommt, das schmutzigste Kraftwerk der industrialisierten Welt zu sein.

In einer Zeit, da Sonne und Wind unseren Energiebedarf decken können, kommt es einem vor, als stammten diese Kraftwerke aus einem Dickens-Roman, als seien sie eine Katastrophe, die nur darauf wartet loszubrechen. Und in der Tat hat es Katastrophen gegeben. Letztes Jahr stand der Tagebau Morwell 45 Tage lang in Flammen und hüllte die Gegend in giftigen Rauch. Der Brand war die schlimmste Umweltkatastrophe in der Geschichte Victorias. Während die Tagebaubesitzer im Ausland aus dieser Katastrophe Profit schlagen, gehören einige Gegenden im Tal zu den sozioökonomisch ärmsten in Victoria.

In den 1990er-Jahren wurden die Tagebaue und das Kraftwerk privatisiert. Von da an wurde es erst richtig schlimm. Die Gemeinde erlebte einen Boom-Bust-Zyklus des Energiemarkts. Jeder Boom und jede Pleite haben den aufrechten und anständigen Menschen im Tal schreckliche Wunden geschlagen.

Heute beschäftigt jedes Kraftwerk nur noch ein paar hundert Leute – sie haben einfach nur Glück, dass sie ein gutes Gehalt bekommen, und sie geben es der Gemeinschaft zurück, um ihre Familien, Freunde und Nachbarn zu unterstützen. Einer der Arbeiter sagte uns, dass er selbstverständlich die Kosten übernehme, wenn seine weitläufige Familie Urlaub machen will. Die meisten Menschen in der Gemeinde können sich so etwas nicht leisten – ebenso wenig, wie sie es sich leisten können, sich von Big Coal drangsalieren zu lassen.

Der Brand

Auf den Großbrand, der 45 Tage lang im Morwell-Tagebau loderte, war niemand vorbereitet. Feuerwehrleute eilten hinein, um zu helfen – zunächst waren sie nur zu sechst – nein, ich mache keine Witze, sie hatten insgesamt nur sechs Feuerwehrleute. Die waren allerdings nur Buschbrände gewöhnt und konnten angesichts einer Kohlegrube, in der die Flammen tobten, nur wenig ausrichten.

Das Gesundheitsministerium schaute weg – sie unterließen es, die gesundheitlichen Auswirkungen zu dokumentieren, sodass die Gemeinde das selbst übernahm. Mit Klemmbrettern und Stiften bewaffnet marschierten sie los, Stunde um Stunde, Tag um Tag, und dokumentierten eigenhändig die schreckliche Wahrheit. Im Krankenhaus meldeten sich Arbeiter mit Kohlenmonoxid-Werten, die den unbedenklichen Grenzwert um das Doppelte übertrafen, Babys lagen schlaff in den Armen ihrer Mütter und wollten nicht essen und nicht trinken, Menschen, die noch nie Asthma hatten, erkrankten daran, andere kamen ganz plötzlich mit Angina, Herzrhythmusstörungen, Bronchitis oder Krebs ins Krankenhaus, manche starben sogar.

Und immer noch weigerte sich die Regierung anzuerkennen, was da passierte. Sie erzählten den Leuten, ihre Krankheiten hätten sie schon vorher gehabt, die seien nur noch nicht diagnostiziert worden. Obwohl erwiesen ist, dass diese Menschen – schon ohne den Brand – im Vergleich mit uns Stadtbewohnern eine um Jahre verkürzte Lebenserwartung haben, sagten sie, die Sterblichkeitsrate sei rückläufig und niemand werde langfristige Gesundheitsschäden davontragen.

Die Auswirkungen dieser Katastrophe auf die Region können gar nicht überbewertet werden. Sie brachte das Tal und seine Bewohner*innen an ihre Grenzen; sie können nicht länger mit der Angst leben, dass ein Großbrand im Tagebau wie der des letzten Jahres jederzeit erneut losbrechen könnte.

Die Menschen im Latrobe Valley sind durch die Hölle gegangen, und doch sind sie großmütige, fürsorgliche, wunderbare Menschen, die vor allem nach vorne blicken. Sie sehnen sich nach Lösungen und einem Weg, der zu etwas Besserem führt als der schmutzigen Industrie, von der sie alle abhängig sind.

Diese Menschen sind es gewöhnt, schlecht behandelt zu werden – sie sind daran gewöhnt, dass sie von Kohlekonzernen zugrunde gerichtet, von Regierungen ignoriert und von Aktivisten missverstanden werden.

Und trotz alledem ist die Gemeinschaft immer noch stark. Sie krempelten die Ärmel auf, schluckten ihre Tränen hinunter und hegten keinen Groll. Sie haben vielleicht Angst, sind traurig und fühlen sich betrogen, aber sie wissen, dass eine bessere Zukunft möglich ist. Nachdem man sie so lange im Regen stehen lassen hatte, waren sie überwältigt davon, dass wir uns für ihre Geschichte interessierten, von unserer Hilfsbereitschaft ganz zu schweigen.

“Bei der Klimagerechtigkeit geht es nicht nur um das Abstellen von Treibhausgasemissionen, sondern auch darum, dass wir die Fehler aus dem Zeitalter der fossilen Brennstoffe nicht wiederholen dürfen.”

Trotz der blutroten Sonnenuntergänge, die von der verschmutzten Luft getränkt sind, ist zu spüren, dass die Sonne über der Kohle untergehen kann und dass sie diese Gemeinschaft nicht mit sich in Abgrund ziehen wird. Sie sind hier, um zu kämpfen, und sie sind hier, um zu bleiben. Sie wollen Lösungen für ihre Gemeinschaft, die unabhängig sind von umweltverschmutzender, begrenzt vorhandener Energie, und sie sind bereit dafür. Sie sind bereit für echte Lösungen, die auf sauberer Energie beruhen und nicht auf falschem Ersatz wie Kernkraft oder Gas.

Eines der besten Beispiele dafür war eine szenische Lesung, die wir bei unserem Besuch aufgeführt haben. Nach dem Großbrand fand sich eine Gruppe von Müttern, Vätern und jungen Leuten im Alter zwischen zwanzig und dreißig zusammen, um über das, was sie erlebt haben, einen Dreiakter zu schreiben. „Dying for a Laugh“ zeichnet ihre grauenvollen Erfahrungen mit komischen Auflockerungen und tragischen Einsprengseln nach, die uns am Ende unserer dreistündigen Lesung alle zum Weinen brachten. Und doch waren wir erleichtert und wild entschlossen, dafür zu sorgen, dass das Leben dieser herzensguten Menschen nicht länger in dieser Hölle aufgerieben werden kann. Unsere zwei Tage – die uns vorkamen wie zwei Jahre – endeten mit einer wunderbaren Zusammenkunft mit zehn unserer Gastgeber, bei der wir einen Plan für unser weiteres Vorgehen entwarfen: einen Weg, wie Stadtbewohner bessere Verbündete sein können, damit wir nicht immer nur die „Schließung“ fordern, ohne zugleich einen Neuanfang zu konzipieren, damit wir verstehen, dass eine gerechte Transformation genauso wichtig ist wie der Ausstieg aus der Kohle, damit wir erkennen, dass es schwerer ist, etwas Gutes aufzubauen, als etwas Schlechtes zu beenden.

Die genauen Einzelheiten dieser informellen Partnerschaft müssen noch ausgearbeitet, konkretisiert werden. Es gab weder tiefgehende Strategie-docs noch Sieben-Punkte-Pläne. Stattdessen zeigten alle echtes Herz und wahre Güte. Und alle wussten, dass wir gemeinsam etwas wirklich Gutes zustande bringen wollten, sei es groß oder klein. Uns war klar, dass das, was wir in diesen zwei Tagen gesehen hatten, uns verändert hat, und dass wir nie wieder dieselben sein würden wie zuvor.

Es war ein Gefühl, als hätten einige Wunden zu heilen begonnen. Wir spürten, dass wir in ersten winzigen Schrittchen angefangen hatten zu lernen, wie wir echte Verbündete derjenigen sein können, die die Kohle täglich vor Augen haben. Diese Arbeit erscheint uns äußerst wichtig. Das Tal könnte ein Modell für eine Zukunft jenseits der Kohle werden. Sie sind bereit und wollen es – sie brauchen nur ein wenig Unterstützung und Respekt, und die haben sie verdient.

Our Power über das Latrobe Valley, das Zentrum der Energieproduktion in Victoria, ist ein Dokumentarfilm über Menschen, die sich zusammenschließen, um einen positiven Wandel für ihre Gemeinschaft und zukünftige Generationen herbeizuführen.

Mehr über das Latrobe Valley demnächst in dem Dokumentarfilm Our Power.

ourpowerdoco.com