Geschrieben von Kathy Jetñil-Kijiner auf ihrem Blog und übersetzt von Carola Berger

Vanuatu-Warrior Isso schenkt einer Vertreterin der deutschen Gruppe „Ende Gelände“ und der lokalen Bürgerinitiative „Buirer für Buir“ Kava aus. Fotos von 350.

Seit COP23 sind nun schon zwei Wochen vergangen, und ich beginne erst jetzt, meine Erfahrungen zu verstehen. Dieser Blogbeitrag war ursprünglich als Übersicht über die Konferenz gedacht. Aber letztlich ist er zu einem Beitrag über eine unserer Aktionen am Beginn der Reise geworden: zu einem Beitrag über eine traditionelle fidschianische Zeremonie, die wir am Rande einer Veranstaltung in der Nähe einer Kohlengrube abhielten.

Meine Reise wurde von der deutschen Wohltätigkeitsorganisation Brot für die Welt gesponsert. Meine Anwesenheit war jedoch bei nicht allzu vielen Veranstaltungen erforderlich. Deshalb verbrachte ich meine Freizeit zumeist mit anderen jungen Aktiven aus den Pazifik-Inseln, alle Mitglieder des 350.org-Teams Pacific Climate Warriors, Inselbewohner*innen aus dem Südpazifik, die sich für Klimaschutz engagieren. Insgesamt waren 12 von uns in Bonn mit dabei, wobei mindestens 9 Inselnationen vertreten waren.

Fenton Lutunatabua, Fidschi-Warrior und regionaler Koordinator für die Pazifikregion, vermittelte zwischen unserem Inselbewohnerteam und dem europäischen Team und half bei der Organisation von Aktionen im Rahmen der COP und anderen Aktionen. Was mich zum eigentlichen Thema dieses Blogbeitrags bringt: unsere Aktion am 5. November zusammen mit deutschen Aktiven. Die Aktion war unvergesslich.

Mannheim – ein verlassenes Mahnmal

Der Kohletagebau, der im Zentrum dieser Aktion stand, befindet sich in der Nähe von Hambuch und wurde von der Tageszeitung Guardian als das „größte Loch Europas“ und als „eine der größten Kohlenstoffquellen des Kontinents“ bezeichnet. Kohle lieferte letztes Jahr ungefähr 40 Prozent des gesamten Elektrizitätsbedarfs Deutschlands, wobei sie für ungefähr ein Drittel des Kohlendioxidausstoßes verantwortlich ist. Die Position von Bundeskanzlerin Merkel zum Kohleabbau wurde auf der Konferenz mit Spannung erwartet.

In der Nähe dieses Kohletagebaus hielt unser Team in einer verschlafenen Stadt nahe Mannheim bei Sonnenaufgang eine traditionelle fidschianische Sevusevu-Zeremonie ab. Diese Sevusevu-Zeremonie wurde vom Fidschi-Warrior George Nacewa geleitet. Dabei treffen sich Dorfvorsteherinnen und Dorfvorsteher und bitten einander um Erlaubnis, ihr Land zu betreten. In diesem Fall nahmen unsere Warriors und die deutschen Organisator*innen der Gruppe Ende Gelände an der Zeremonie teil.

Die Zeremonie sollte Solidarität mit der umfangreichen Aktion von Ende Gelände vermitteln, die nur wenige Stunden davor stattfand. Dabei blockierten tausende Demonstranten den nur wenige Kilometer entfernten Kohletagebau mit ihren Körpern und forderten ein Ende des Abbaus fossiler Brennstoffe.

Der Morgen in Mannheim begann kalt und regnerisch. Wir verbrachten die einstündige Busfahrt im Dunkeln mit Nickerchen, Witzen, Musik und Käsebrötchen. Ein Mitglied der Gruppe machte auf den vermeintlichen Sonnenaufgang aufmerksam – der sich dann als hohe Flamme aus einem Ofenschacht herausstellte.

Schließlich kamen wir in den verlassenen Straßen einer Stadt an. Dichte Nebenschwaden zogen durch die Ziegelhäuser der Stadt, die aufgrund der Erweiterung des Tagebaus umgesiedelt worden war. Heute leben dort Geflüchtete. Die Ironie und der Doppelstandard entgingen uns dabei nicht. Uns fröstelte, als wir unsere Tapa-Tücher in die Kirche brachten.

 

Blütenblätter aus Tapa-Stoff – unsere Gabe

Siliveseteli Loloa und Joseph-Zane Sikulu, unsere Warriors aus Tonga, hatten die Tapa-Tücher nach Deutschland gebracht, die wir Ende Gelände während der Sevusevu-Zeremonie als Gabe überreichen wollten.

Wir schnitten die Tücher in vier große Blütenblätter und bemalten sie mit den Worten „End Fossil Fuel Now“ (Schluss mit fossilen Brennstoffen). Die Blütenform war an unsere Kampagne #HaveYourSei angelehnt, die das Symbol der Inselblume verwendet, um die Schönheit und Beständigkeit unserer Kulturen und Völker zu repräsentieren.

Ich glaube, ich werde diesen Morgen nie vergessen. Wir standen im Kreis und hielten Hände, brachten unsere Anliegen in einem Gebet vor, zogen unsere traditionellen Gewänder an und stellten uns in einer Reihe auf. Die Männer in unserer Gruppe zogen ihre Socken und Schuhe aus. Draußen wurde in ein Muschelhorn geblasen. Vereinzelt wurden noch Witze geflüstert, aber sobald uns draußen die kalte Luft entgegen blies und wir die wartende Menge sehen konnten, verstummten wir. Die Zeremonie begann.

 

Ein Sevusevu im deutschen Regen

Nach der Zeremonie witzelten einige Mitglieder des RMI-Regierungsteams über das Barfußlaufen im Regen. Ich erklärte ihnen, dass das Absicht sei. Die Mäntel und Schuhe würden als Zeichen der Demut ausgezogen. Zane erzählte mir später die Geschichte einer tongaischen Prinzessin, die viele Kilometer barfuß ohne Regenschirm im Regen ging, um die britische Königin zu sehen. Dadurch bewies sie ihren Respekt, ihre Bescheidenheit und ihre Stärke.

Ich war hauptsächlich damit beschäftigt, nicht zu stark zu zittern. Wir gingen in die Mitte der Straße, um die Zeremonie abzuhalten. Die Mitglieder von Ende Gelände saßen auf Stühlen an einem Ende. Unsere Männer saßen ihnen gegenüber am anderen Ende, aufrecht und unbeeindruckt von der Kälte. Um uns herum war eine Menschenmenge aus Gemeindemitgliedern und Medienleuten, dick vermummt in Mänteln und mit Regenschirmen. Kameras blitzten auf.

Die Zeremonie verlief ruhig und still. Sie begann mit einer einführenden Rede von Zane, gefolgt von einem wunderschönen Gebet von Reverend James Bhagwan von der Methodistenkirche in Fidschi und einem beeindruckenden Sprechgesang von George. Ihre Stimmen hallten in der Leere der Stadt wider. Kava wurde angerührt, in ausgehöhlte Kokosnussschalen gefüllt und serviert. Wir klatschten. Wir seufzten. Wir Frauen hatten die Aufgabe, die Tapa-Tücher zu bringen, wenn es an der Zeit war. Es regnete während der Zeremonie unablässig. Man konnte unsere Atemzüge in der kalten Luft sehen. Aber die Energie der Zeremonie, die ich zum ersten Mal mitmachte, wärmte mich.

Nach der Zeremonie wurden einige von uns um Interviews gebeten. „Die nachfolgende Aktion von Ende Gelände ist illegal“, sagte der Journalist ins starre Auge der Videokamera. „Was halten Sie von solchen Aktionen – unterstützen Sie sie?“

Können legale und illegale Aktionen nebeneinander bestehen?

Ich dachte lange über diese Frage nach und besprach sie mehr als einmal mit unserem Team. Als ich den Warriors Anfang dieses Jahres beitrat (ich bin ziemlich neu dabei), betonten unsere Führungskräfte, dass die Aktionen, an denen die Krieger teilnehmen würden, gewaltfrei und legal sein würden. Da ich in Hawaii unter dem starken Einfluss der USA aufgewachsen bin, habe ich viele Aktionen gesehen, die so begannen – und dann ihre hässliche Seite zeigten. Manchmal sind die Demonstranten schuld. Oft jedoch nicht. Am Anfang hat mich das verwirrt, aber später habe ich die Gründe erkannt.

Diese Entscheidung erkennt, dass sich viele von uns Insulanern bei westlichen Aktionen wie die von Ende Gelände unbehaglich fühlen. Sie stellen die Autorität in Frage und tun dies auf eine Weise, die unseren kulturellen Lehren der Demut und des Respekts widersprechen. Als bereits an den Rand gedrängte Bevölkerungsgruppe ist dies für uns schwierig. Viele unserer Gruppenmitglieder können aufgrund der schlechten Jobsituation oder der Verantwortung gegenüber ihren Familien keine Gewalt und kein Gefängnis riskieren. Einige wollen auch gar nicht als „Aktivisten“ bezeichnet werden, denn dieser Begriff ist mit Ausländern verbunden, die ungeheuerliche Handlungen aus ungeheuerlichen Gründen tätigen. „Ein Pacific Climate Warrior zu sein, bedeutet, strikt gewaltfrei zu handeln und auf würdevolle und friedliche Weise für die Zukunft der Pazifik-Inseln einzutreten“, so die Definition auf einer Seite von 350 Pacific, „Warriors sind unverwüstlich. Warriors sind weder aggressiv noch gewalttätig, sondern agieren bestimmt. Warriors dienen, um ihre Gemeinde, ihre Kultur, ihr Land und ihren Ozean zu schützen. Warriors lernen immer dazu.“

Fenton und unser vorheriger Teamleiter Koreti verstehen, dass Protest viele Formen annehmen kann. Er kann sogar die Form kultureller Bescheidenheit annehmen. In diesem Fall zeigte die Sevusevu-Zeremonie Bescheidenheit, aber auf eine Weise, die die pazifische Kultur in den Vordergrund stellte. Sie zeigte die pazifischen Werte auf und stellte durch eine uralte Tradition eine Verbindung zu einer Stadt her, die durch die gleichen heimtückischen Kräfte verdrängt wurde, die auch unsere Inseln verschlucken. Das erinnert mich an die Geschichten über unsere Häuptlinge, die aus Protest zum von den USA besetzten Atoll Kwajalein segelten.

Später meinte eine der Vertreter*innen, die den Kava trank, unter Tränen, dass sie von der Schönheit und dem Respekt unserer Geste überwältigt war. Antje Grothus stammt aus dem Dorf Buir im Rheinland. Sie ist Mitglied der lokalen Bürgerinitiative Buirer für Buir, die daran arbeitet, die Kohle unter Tage zu lassen. Sie und ihre Familie und Gemeinde sind direkt von den Auswirkungen des Kohleabbaus betroffen. „Die Zeremonie war sehr bewegend“, meinte sie, „aber ich fand es auch beschämend, dass die Pacific Climate Warriors uns um unsere Erlaubnis baten, hier zu sein, während wir ihren Lebensraum durch das Verbrennen von Kohle zerstören.“

Die Zeremonie verstärkte die Bindungen zwischen unseren Ländern aufgrund der gemeinsamen Herausforderungen – durch eine Entscheidung, die das Überleben von Menschen beeinflussen kann, die tausende Kilometer entfernt leben. Die bewirken kann, dass eine evakuierte Stadt einer Insel gleicht, die nach Luft schnappt.

Wir fanden später heraus, dass einige der Aktiven von der Polizei mit Pfefferspray besprüht wurden und einige verhaftet wurden, obwohl der Großteil der Aktion friedlich ablief. In mancher Hinsicht schien mir unsere Zeremonie nicht ausreichend. Sollten wir auch dort draußen sein? Sollten wir auch unsere Körper aufs Spiel setzen?

Fotonachweis:https://www.ksta.de/region/rhein-erft/kerpen/-ende-gelaende–hunderte-aktivsten-dringen-in-tagebau-ein-28768600

Ich musste mich daran erinnern, dass unsere Körper bereits auf dem Spiel stehen. Unsere Meere, unser Land, das Überleben unserer Kulturen und Identität. Unsere Aktion war in vieler Hinsicht wirkungsvoll.

An diesem Punkt meines Wegs erkenne ich, dass man nicht nur auf eine Art und Weise protestieren kann.

Später traf ich während einer anderen religionsübergreifenden Veranstaltung eine Aktive von Ende Gelände. Sie erklärte, dass Ende Gelände Vertrauen in illegale Aktionen setzt. Ich fragte sie, warum das so wichtig sei. „Wenn Ungerechtigkeit zum Gesetz wird“, meinte sie, „dann werden Gesetzesübertretungen gerecht. Wir glauben, dass wir das Gesetz aus den richtigen Gründen brechen.“ Ich hatte diese Perspektive noch nie gehört – und fand sie erfrischend und atemberaubend.

Ich werde das Konzept illegaler Aktionen weiter sorgfältig überdenken und verarbeiten, wie unsere/meine Beiträge aussehen könnten. Aber ich glaube, dass es Raum für verschiedene Arten von Protesten gibt. Wenn sie richtig ausgeführt werden, mit Kommunikation und gegenseitigem Respekt, können sie einander sogar ergänzen. Die Partnerschaft mit Ende Gelände wäre ohne die stundenlangen Skype-Anrufe und die umfangreiche Vorbereitung durch das europäische 350-Team und unsere Koordinatoren Fenton und Zane nicht so gut gelaufen. Obwohl die Aktion weniger als eine Stunde dauerte, waren viele Hände daran beteiligt, um sicherzustellen, dass sie auch Wirkung zeigte.

Am Rand eines Kohlebergwerks

Nach der Zeremonie stiegen wir erschöpft und etwas feucht in den Bus. Vor der Rückfahrt nach Bonn machten wir noch einen Zwischenstopp am Rand des Kohletagebaus. Von einem Aussichtspunkt konnten wir ihn sehen, bevor er sich mit Demonstranten füllte.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Ehrlich gesagt erwartete ich eines dieser Bergwerke wie in einem Comicstrip, mit den kleinen Metallbehältern, die wie bei einer Achterbahn aus dem Berg rollen. Was ich nicht erwartet hatte, war eine klaffende Wunde in der Erde – eine leer gekratzte, rohe Mondlandschaft.

 

Am Rand des Aussichtspunkts waren Plastikstühle aufgestellt, damit sich die Leute sonnen und die Aussicht „genießen“ konnten. Davor befand sich ein Spielplatz aus Metall.

Während ich zum Rand ging, dachte ich an ein Gedicht, das die Eindrücke beschreiben konnte – warum diese Leere so vertraut war. Als ob ich das schon anderswo gesehen hätte. Ich fragte mich, ob Runit so ausgesehen hatte, bevor es mit Atommüll gefüllt und mit einer Betonhülle abgedeckt wurde.

Viele von uns weinten. Deswegen versinken unsere Inseln im Meer – aber wir waren nicht auf die Hässlichkeit gefasst. Der Anblick führte uns vor Augen, warum wir kämpfen.

Es gibt ein Video unserer Reaktionen auf den Anblick des Tagebaus. Danach führte Tia aus Tokelau unseren traditionellen Gesang an: „Wir ertrinken nicht – wir kämpfen!“

Die erste Strophe des Gesangs fühlte sich hohl an. Ich fühlte Tränen in meinen Augen – ich fühlte mich so hilf- und nutzlos. Aber als wir den Gesang wiederholten, zwang ich mich, Kraft aus der Anwesenheit der anderen um mich herum zu schöpfen. Ich fühlte, wie sich meine Stimmung hob, als ob jemand ja sagte. Ja. Darum bist du hier.

Danach rollten wir die Tapa-Blüten auf und hielten die Ecken hoch, während wir oben nach der Drohne suchten. Der Himmel war noch nie so klar. Leuchtendes Blau mit einer Sonne, die unsere Augen blendete.

 

Ein Gedicht von George

Am nächsten Tag hielten wir mit dem 350-Team eine Nachbesprechung ab. In einem Schreibseminar verarbeiteten wir den vorigen Tag in Gedichten. Alle der Gedichte waren wunderschön. Ich bat George, sein Gedicht vorzutragen, nicht nur, weil es mich bewegte, aber auch, um seine Arbeit und seine Leitung bei der Zeremonie zu würdigen, die wunderschön war:

Gestern
klang wie die Meeresbrise, die durch den Baka-Baum weht. Das Lachen meiner Dreu’s, die Witze über den Baigani-Vorfall machen. Das Mischen von Yagona um 10 Uhr Vormittag und der Ruf von der anderen Dorfseite, mai, mai, mai, dua mada na bili ni mua.

Gestern schmeckte wie Sui Mada von meiner Mutter. Von meinem Volk zubereiteter frischer Fisch und Yaqona.

Gestern sah aus wie Bula-Lächeln und der respektvolle Blick meiner Stammesältesten. Es sah aus wie Hoffnung.

Gestern roch wie Voivoi, zum Weben der feinsten Stoffe gepflückt, wie die Masi, die wir verwendeten, um meinen Sohn und meine Tochter zu umwickeln, als sie das erste Mal nach Hause kamen.

Gestern fühlte sich an wie

Wir ertrinken nicht.

Wir kämpfen.

 

**Übersetzung:
Yaqona – Kava
Mai, mai, mai, dua mada na bili ni mua – Komm, komm, komm, eine Mischung zum Abschied
Sui – fleischige Knochensuppe
Voivoi – Pandan-Blätter
Masi – Tapa
Baigani – Aubergine
Dreu’s – traditionelle Bezeichnung für Menschen aus Vanua Levu, der anderen größeren Insel in Fidschi.