Die Folgen der Klimakrise sind ungerecht verteilt – diejenigen, die am wenigsten zu ihrem Entstehen beigetragen haben und bereits auf andere Weise benachteiligt sind, leiden am meisten.

In Frankreich formierte sich als Antwort auf eine für  2019 von der französischen Regierung geplante Steuererhöhung für fossile Kraftstoffe die Gelbwesten-Bewegung. Offiziell heißt es, man wolle mit der Steuererhöhung finanzielle Anreize für den Kauf von Elektrofahrzeugen schaffen. In Wirklichkeit wäre jedoch nur ein Bruchteil dieser Steuereinnahmen in die Finanzierung grüner Programme geflossen: Die meisten Steuereinnahmen wären dafür verwendet worden, das Finanzloch zu schließen, das durch die Abschaffung der Vermögenssteuer entstanden ist. Statt diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die am meisten für die Klimakrise verantwortlich sind – zum Beispiel den französischen Ölriesen Total –, wollte die französische Regierung die ohnehin schon weniger privilegierten Schichten für die Folgen des Klimawandels aufkommen lassen.

Obwohl die Lage in Frankreich noch sehr unübersichtlich ist, hat die  Gelbwesten-Bewegung das Potenzial einen tiefergehenden Lernprozess und Wandel in Gang zu setzen, der die Ursache für viele miteinander verflochtene Probleme angeht. Denn es ist gleichermaßen notwendig, schnell aus den fossilen Energieträgern auszusteigen und dem Gefühl der Entmachtung und Entmündigung in großen Teilen der Gesellschaft in vielen Demokratien sowie dem aktuellen wirtschaftlichen Paradigma etwas entgegenzusetzen. Die erste Lektion, die wir von den Gelbwesten lernen können: Der Klimawandel lässt sich nicht einfach durch die Besteuerung von fossilen Kraftstoffen bekämpfen.

Noch ist unklar, wofür die Gelbwesten-Bewegung genau steht. Forderungen und  Zusammensetzung der Bewegung verändern sich genau wie ihre Beziehung zu etablierten politischen Kräften täglich. Einige der ersten lokalen Proteste wurden von Rechtsextremist*innen angeführt oder unterstützt und gingen mit rassistischen, islamfeindlichen und homophoben Handlungen einher. Einige der Gelbwesten nehmen dies noch immer als Vorwand, um Migrant*innen und andere Minderheiten zum Sündenbock zu machen – davon muss sich die Bewegung dringend  distanzieren. In einer wirklich breiten Bewegung kann es keinen Platz für Worte und Handlungen geben, die Menschen aufgrund ihrer Rasse, ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung ausschließen, marginalisieren oder diskriminieren.

Obwohl noch unklar ist, wie genau sich die Gelbwesten am Ende aufstellen und trotz des Risikos einer Vereinnahmung durch Rassist*innen und rechtes Gedankengut, lohnt es sich die Ursachen für diesen Aufstand nachzuvollziehen.

Eine Tatsache ist unbestreitbar: Die gleiche Regierung, die die Klimakrise angeheizt und sich der Kohle-, Öl- und Gasindustrie nicht widersetzt hat, hat Ungleichheiten mit ihrer Wirtschaftspolitik ignoriert oder sogar weiter vergrößert.

Nachdem die  Gelbwesten nun scheinbar darauf abzielen, den unbeliebten französischen Präsidenten Emmanuel Macron des Amtes zu entheben, rückt die Kritik des Status quo stärker in den Fokus. Zehn Jahre nach der schlimmen Finanzkrise, die Frankreich ebenso getroffen hat wie viele andere westeuropäische Staaten, haben viele das Gefühl, abgehängt zu sein.

Dabei könnten wir eine Million sichere Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien schaffen. Wenn wir die Energieeffizienz von Häusern und öffentlichen Gebäuden durch kostenlose Wärmedämmung verbessern würden. Wenn wir den öffentlichen Verkehr massiv ausbauen und vergünstigen würden, um Menschen und Güter klimafreundlicher von A nach B zu transportieren. Und indem wir „grüne Fertigkeiten“, die wir brauchen, durch Bildung und Fortbildung aufbauen.

Derzeit gibt es wenige Überschneidungen zwischen Gelbwesten und der französischen Klimabewegung. Das verdeutlicht ein Problem der Klimabewegung in ganz Europa: Der Schwerpunkt lag bislang in erster Linie auf einer starken Klimaschutzpolitik, um die Energiewende weltweit ins Rollen zu bringen. In Zukunft müssen wir verstärkt jedoch diskutieren und klären wie wir den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern gerecht gestalten können.

Die zweite wichtige Lektion, die wir von diesem spontanen Aufstand lernen können lautet deshalb: Nicht  Klimaschutz, sondern Klimagerechtigkeit muss für die Klimabewegung im Fokus stehen.

Klimagerechtigkeit heißt Steuergerechtigkeit. Wenn wir Klimaschutzmaßnahmen unterstützen, bei denen die Armen erneut die Rechnung bezahlen, während die Reichen weiter das Klima zerstören und damit Profit machen, führt dies nur zu neuer Ungleichheit, die schon jetzt Millionen von Menschen als ungerecht empfinden.

Die Lösung besteht darin, nicht auf der Nachfrageseite anzusetzen, sondern auf der Angebotsseite: Nicht die Menschen sollten für den Klimawandel zahlen, sondern die Kohle-, Öl- und Gas-Unternehmen, die Millionengewinne erzielen und Subventionen aus öffentlichen Geldern in Millionenhöhe erhalten. Diese Unternehmen sind die wahren Klimasünder.

Steuern sind ein wichtiges Werkzeug der Regierung. Aber Steuern sind nicht gleich Steuern. Ökosteuer und soziale Gerechtigkeit lassen sich in Einklang bringen und wir können sicherstellen, dass der Klimakampf nicht weiter zu Exklusion und Prekarität führt. Im Gegenteil: Sie sollten den Weg ebnen für das Entstehen hochwertiger Arbeitsplätze, die Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten und den Aufbau belastbarer und anpassungsfähiger Gemeinschaften.

Schätzungen dazu wie viele Jobs in einer grünen Wirtschaft geschaffen werden können und wie schnell werden von Expert*innen ständig nach oben korrigiert. Die in Großbritannien von acht Gewerkschaften unterstützte Eine-Million-Jobs-Kampagnen zeigt wie der Übergang zu erneuerbarer Energie aussehen könnte: kostenfreie Dämmung von Häusern und öffentlichen Gebäuden zur Steigerung der Energieeffizienz; ein massiver Ausbau von günstigen öffentlichen Verkehrsmittel, um Menschen und Güter sauberer von A nach B zu transportieren; und die Entwicklung der erforderlichen „grünen Fertigkeiten“ durch Aus- und Fortbildung.

Bereits über 10 Millionen Menschen weltweit arbeiten im Bereich der erneuerbaren Energien. Ernst & Young zufolge könnten Dekarbonisierungsmaßnahmen im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens unterm Strich 1,25 Millionen neue Arbeitsplätze bis zum Jahr 2030 schaffen.

Die Proteste der Gelbwesten breiten sich über die Landesgrenzen Frankreichs hinaus in andere Teile Europas aus und zeigen deutlich, dass viele Dinge in unserer Gesellschaft aus den Fugen geraten sind. Die Klimabewegung täte gut daran, sich diese Lektionen zu Herzen zu nehmen – das gilt auch für die Regierungen in Europa und dem Rest der Welt. Unsere Lebensstile sind dabei sich dramatisch zu verändern. Wir müssen diese Gelegenheit nutzen und sicherstellen, dass es ein Wandel zum besseren wird, und zwar für alle.