Im Nordosten Brasiliens setzt sich die längste Dürre aller Zeiten fort, die bereits 2010 begann und im Klimawandel begründet ist. Die Wasserknappheit hat verheerende Auswirkungen auf die örtliche Landwirtschaft und die Fischerei. Doch für die ortsansässigen Menschen gibt es noch weitere Folgen.

Die Stauseen der Wasserkraftwerke — Brasiliens wichtigster Stromquelle — sind leer, und es wurde nicht ausreichend in andere erneuerbare Energiequellen investiert. Nun ist die Regierung gezwungen, Wärmekraftwerke in Betrieb zu nehmen, die mit fossilen Brennstoffen befeuert werden. Diese Kraftwerke verursachen nicht nur mehr Verschmutzung, sondern verseuchen auch Flüsse und unterirdische Wasserreservoirs. Außerdem verbrauchen sie große Mengen des wenigen noch vorhandenen Trinkwassers.

Dies ist zum Beispiel beim Industrie- und Hafenkomplex Pecém der Fall, der im Ballungsraum von Fortaleza liegt, der Hauptstadt des nordöstlichen Bundesstaates Ceará. Pecém I und Pecém II sind die zwei größten mit Kohle betriebenen Wärmekraftwerke des Landes. Die Regierung hat ihnen die Erlaubnis erteilt, 800 Liter Wasser pro Sekunde (bzw. 70 Millionen Liter pro Tag) aus dem Stausee Castanhão zu entnehmen, mit dem man eine 600.000-Einwohner-Stadt versorgen könnte.

Aus Castanhão, dem größten staatlichen Mehrzweck-Wasserspeicher des Landes, wird die gesamte Großstadtregion Fortaleza versorgt. Hier wohnt rund die Hälfte der Einwohner*innen des Bundesstaates. Im vergangenen November erreichte das Reservoir sein Totvolumen. Über 20 Tage lang wurde die Stadt nicht mehr mit Wasser aus ihm versorgt. Weil Castanhão leer war, fing die Regierung an, andere Standorte zu erkunden, auch in geschützten Gebieten wie dem Umweltschutzgebiet Lagamar do Cauípe. Dort gibt es viele indigene Gemeinschaften und am Fluss gelegene Orte, die auf die natürlichen Ressourcen angewiesen sind.

Ende 2017 beobachteten die Anacé, ein indigenes Volk aus Barra do Cauípe, wie eine Gruppe Arbeiter*innen in Begleitung zweier Polizist*innen mit Arbeiten zur Wasserentnahme aus Lagamar do Cauípe begann. Mit dem Wasser sollte der Industriekomplex Pecém versorgt werden. Mit Unterstützung durch Volksbewegungen und zivilgesellschaftliche Organisationen konnten Anführer*innen der Anacé eine Verfügung des Bundesstaats zur Unterbrechung der Arbeiten bewirken. Das Vorhaben, bei dem 200 Liter pro Sekunde aus dem Gebiet entnommen werden sollten, könnte die ohnehin schon knappen Wasservorräte in der Region stark gefährden.

„Während einer der schlimmsten Wasserkrisen des Bundesstaates lässt die Regierung zu, dass Wasser, das für den Primärverbrauch der Bevölkerung bestimmt ist, für industrielle Zwecke verwendet wird. Man hat das Gebiet betreten, ohne Erlaubnis dafür einzuholen und ohne mit den traditionellen Gemeinschaften zu sprechen, die dort wohnen. Hierdurch werden in der Region bereits bestehende Konflikte noch weiter verschärft“, so Roberto Marques, Anführer des indigenen Volkes Anacé.

Abgesehen von seiner ökologischen Bedeutung dient Lagamar do Cauípe den ortsansässigen Menschen als Lebensgrundlage und spielt für Fischerei und Tourismus in der Region eine wesentliche Rolle. Von kulturellen und spirituellen Fragen ganz zu schweigen. „Mein Volk glaubt, dass unsere Ahnen, die ‘Verzauberten’, noch immer in der Lagune von Cauípe leben. Aber wie das Wasser können auch sie verschwinden. Wenn die Regierung unser Land umbringen will, dann wird sie auch uns umbringen. Vielleicht ist schon alles verloren, aber wir werden nicht kampflos aufgeben.“

In Brasilien wird die halbtrockene Region im Nordosten am stärksten vom Klimawandel betroffen sein. Bereits in der Vergangenheit hat sie regelmäßig unter Dürren gelitten. Wenn nichts gegen die Erderwärmung unternommen wird, soll die Temperatur in der Region laut der jüngsten Daten des Weltklimarats bis 2100 um 2° C bis 5° C steigen.

Nach Hochrechnungen werden insgesamt 1.488 brasilianische Städte und 36 Millionen Menschen — ein Fünftel der Bevölkerung — in sehr naher Zukunft direkt von Wassermangel betroffen sein. Schon jetzt erlebt der Bundesstaat Ceará die ersten lebensbedrohlichen Auswirkungen des Klimawandels.

„Die schwerwiegendste Folge für die Region ist sicher die Wasserknappheit, die sich wiederum direkt auf die Wirtschaft und die Gesundheit der Menschen auswirkt. Der Temperaturanstieg bewirkt in Kombination mit der geringeren Niederschlagsrate, dass die Oberflächengewässer schneller austrocknen. Damit entfällt die wichtigste Wasserquelle für die Menschen“, erläutert Nicolas Fabre, Berater im Bereich Entwicklung von ländlichem Raum und Umweltschutz im Verband der Gemeinden des Bundesstaates Ceará.

Ihm zufolge besteht das Problem nicht so sehr in der Niederschlagsmenge, sondern in der räumlichen und zeitlichen Verteilung des Regens. „In einigen Gemeinden fällt die Regenmenge eines halben Jahres innerhalb nur eines Tages, und den Rest des Jahres ist es absolut trocken. Sie rufen wegen der Überschwemmungen den Notstand aus und ein halbes Jahr später dann wegen der Dürre. Außerdem führen diese sintflutartigen Regenfälle zu einer Verschlammung der Flüsse, deren Speichervermögen dann abnimmt, da sie voller Sand und Sedimente sind“, fügt er hinzu.

Auch die Lebensgrundlagen der Menschen werden hierdurch beeinträchtigt, sodass viele Bewohner*innen der Region gefährdet sind. Vor ein paar Jahren war Ceará der Bundesstaat, in dem am meisten Tilapia produziert wurde (eine Fischart). Heute taucht der Staat in den offiziellen Statistiken nicht einmal mehr auf. „Wenn es kein Wasser gibt, gibt es auch keine Fische. Familienbetriebe und handwerkliche Fischer müssen staatliche Unterstützung annehmen, und Arbeitslosigkeit und Arbeit haben wieder zugenommen.“

Derzeit subventioniert die brasilianische Regierung die Produktion fossiler Brennstoffe direkt und indirekt mit insgesamtüber 56 Milliarden Euro. Fast die Hälfte davon ist in Form von Steuervergünstigungen für die Kohle-, Öl- und Gasindustrie.

Dieses Geld sollte in Maßnahmen zur Förderung von Anpassung und Widerstandsfähigkeit sowie in die Entwicklung einer soliden Infrastruktur erneuerbarer Energien investiert werden. So könnten die Menschen in Ceará darauf hoffen, dass ihre Wasserquellen erhalten bleiben — und damit auch ihre Lebensgrundlage und ihre traditionelle Lebensweise.

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