Von Mark Raven

Schon morgen am 6. Februar könnte die Europäische Investitionsbank (EIB) ihr bisher größtes öffentliches Darlehen aller Zeiten gewähren – 1,5 Milliarden Euro für einen Abschnitt des Südlichen Gaskorridors (SGC). Dabei legen neueste Analysen offen, dass diese Gas-Pipeline aufgrund von Methan-Lecks wahrscheinlich noch schmutziger sein wird als Kohle. Eine aktuelle, von Bankwatch in Auftrag gegebene Studie, zeigt genau, warum europäische Institutionen und Finanzgeber großdimensionierte Energie- und Infrastrukturprojekte einem Klimatest unterziehen müssen. Ein Klimatest würde sicherstellen, dass derlei Energieprojekte mit den Klimazielen Europas vereinbar sind.

Der „Südliche Gaskorridor“ – was ist das?

Als „Südlicher Gaskorridor“ wird ein geplantes System verbundener Gaspipelines bezeichnet, das sich quer durch sechs Länder über eine Länge von 3.500 km erstrecken und jährlich bis zu 31 Milliarden Kubikmeter Erdgases von Aserbaidschan nach Italien transportieren soll (Route siehe unten).

Route und Abschnitte des Südlichen Gaskorridors. Quelle: Bankwatch

Dieses immens kostspielige Projekt ist mit etwa 36 Milliarden Euro veranschlagt und erfordert die Unterstützung staatlicher Finanzinstitute Europas, wie etwa die der Europäischen Investitionsbank oder der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Die Europäische Kommission gibt zu, es versäumt zu haben, die Umweltauswirkungen dieser Mega-Gaspipeline abschätzen zu lassen. Sie hat nicht überprüft, ob dieses Projekt Europas langfristiger Selbstverpflichtung gerecht wird, die globale Erwärmung gemäß dem Pariser Klimaabkommen auf 1,5 °C (gegenüber vorindustriellem Niveau) zu begrenzen.

Die Pipeline hat den Klimatest nicht bestanden

Europäische Institutionen und Politiker*innen haben möglicherweise einen Fehlstart hingelegt und eine Pipeline finanziert, ohne die volle Tragweite ihres Handelns zu verstehen. Forschende der katalonischen Monitoring-Organisation Observatori del Deute en la Globalització und der Polytechnischen Universität von Katalonien haben den Südlichen Gaskorridor jedoch genau solch einem Klimatest unterzogen. Jetzt liegen die Ergebnisse vor – und sie sind alles andere als positiv: das Resultat lautet „Durchgefallen!“. Der Klima-Fußabdruck der Pipeline wird wohl mit dem von Energie aus Kohle vergleichbar sein. Grund dafür sind die praktisch unvermeidlichen Treibhausgasemissionen, die aus den unter Hochdruck stehenden Pipelines und anderen Transportvorrichtungen entweichen.

 

Infrarotaufnahmen zeigen Methan-Leckagen. Quelle: EDF

Diese neue Studie beziffert das Volumen solcher Methan-Lecks entlang des Südlichen Gaskorridors. Sie konzentriert sich dabei insbesondere auf Lecks im Rahmen der Gasförderung und –beförderung und berücksichtigt Kohlenstoffdioxid in Treibhausgasen wie Methan – ein Gas, dessen Treibhauspotenzial auf einen Zeitraum von 100 Jahren betrachtet 25 Mal höher ist als das von Kohlenstoffdioxid.
Jetzt wissen wir:

  • In 6 von 9 aufgezeigten Szenarien wird sich der Südliche Gaskorridor in puncto Emissionsbelastung als genauso klimaschädlich erweisen wie Energie aus Kohle.
  • Die Menge der Treibhausgasemissionen, die die Pipeline Jahr für Jahr freisetzt, wird höchstwahrscheinlich der von ganz Bulgarien entsprechen.

Europäische Gasexpansion – ein fahrlässiges Unterfangen

Diese Studie demontiert Behauptungen, der Südliche Gaskorridor werde helfen, von Kohleenergie auf sogenanntes saubereres Gas umzusteigen – und er hilft ganz sicher nicht, die Klimaziele der EU zu erreichen. Stattdessen untermauert die Studie den Standpunkt, dass sich die Finanzierung und Energiesicherheit europäischer Gasexpansion als teure Fehlinvestition entpuppen wird. Und schlimmer noch: als geradezu gefährlich im Hinblick auf den Klimawandel sowie das Wohl der Menschen vor Ort.

Gaskompressor und Pumpstation. In Europa sinkt die Nachfrage. Quelle: Siemens

Die Anzeichen dafür, dass europäische Politiker*innen und Finanzgeber mit Gas auf das falsche Pferd setzen, sind zahlreich. Im Jahr 2017 mussten die Giganten der Gasbranche – Siemens und General Electric – ihre Gasturbinenwerke schließen und Mitarbeiter*innen entlassen, weil der Absatz ins Bodenlose gefallen war. Die Konsequenz: Mehr als 12.000 Menschen verloren ihre Jobs. Etwa zur gleichen Zeit kündigten Finanzriesen wie der norwegische Staatsfonds und die Weltbank an, nicht länger in Gas und andere fossile Brennstoffe investieren zu wollen.

Zeit für eine Neubewertung

Einigen Mitgliedern des Europäischen Parlaments wird allmählich bewusst, welche Gefahren damit verbunden sind, blindlings – d. h. ohne adäquate Einschätzung der Folgen und Risiken – durch einen Nebel neuer Gasprojekte von ungeheuren Ausmaßen zu preschen, so wie die EU dies gerade tut. Letzte Woche verliehen 13 Mitglieder des Europäischen Parlaments in einem Schreiben an das Sekretariat des parlamentarischen Industrieausschusses ihren Bedenken Ausdruck. In ihm erhoben sie formellen Einwand gegen die sogenannte PCI-Liste, die Liste der vorgeschlagenen Projekte von gemeinsamem Interesse. Bei diesen Projekten handelt es sich um die wichtigsten Infrastrukturprojekte, die seitens der EU priorisiert und auf schnellstem Wege umgesetzt werden – wobei auch Gasexpansionsvorhaben auf dieser Liste stehen. Vorhaben also, die – wie wir jetzt wissen – genauso klimaschädlich sein könnten wie der Bau neuer Kohlekraftwerke.

„Diese Liste ist die erste nach Paris, die Energie-Infrastrukturprojekte von zentraler Bedeutung benennt, die Europa benötigt, um für künftige Herausforderungen im Bereich Energie gewappnet zu sein. Und trotzdem findet sich auf dieser Liste eine absurd hohe Anzahl von Gasprojekten.“

Antoine Simone, Friends of the Earth

Eine der Lehren, die wir aus dieser frappierenden Analyse zum Südlichen Gaskorridor ziehen können: umfassende Infrastrukturprojekte auf Europas PCI-Liste müssen einem Klimatest unterzogen werden – und zwar vor der Bewilligung entsprechender Genehmigungen und Finanzmittel. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Menschen, die in besonders betroffenen Gebieten leben, bekommen die Folgen des Klimawandels bereits heute zu spüren: Allein im vergangenen Jahr hatte Europa unter einer tödlichen Hitzewelle (der schlimmsten seit 2003) zu leiden, alles vernichtenden Waldbränden in Portugal, denen mehr als 60 Menschen zum Opfer fielen, und dem stärksten je verzeichneten Atlantiksturm an Irlands Küste, der noch mehr Tote forderte.

 

Portugal, Waldbrände am Horizont. Quelle: Contando Estrelas

Die Divestment-Bewegung hat bereits immensen Einfluss auf Finanzgeber: Der Klimawandel spielt in ihren Überlegungen jetzt immer öfter eine Rolle und Entscheidungen, aus fossilen Brennstoffen auszusteigen, mehren sich. Doch wir müssen noch stärker werden, denn Europa taumelt am Rand der Klimaklippe – während es sich drauf und dran macht, riesige Gasinfrastrukturprojekte zu verwirklichen, die uns weitere 40 Jahre an gefährliche, schmutzige Energie fesseln. Wir müssen noch mehr Druck machen, um sicherzustellen, dass Entscheidungsträger*innen und Finanzgeber diese Projekte einem Klimatest unterziehen. Und wann immer das Ergebnis „Durchgefallen!“ lautet, müssen wir bereitstehen, um genau die Finanzströme trockenzulegen, die fossile Brennstoffe erst zum Leben erwecken.

Wie die Gasexpansion in Europa zu stoppen ist, erfährst du auf defundtap.org