Eine kürzere Version dieses Artikels erschien am 24 April 2020 in der taz.

Von Sebastian Bock, 350.org

Während Wissenschaft und Politik nach einem verantwortlichen Exit-Plan aus der Coronakrise suchen, versuchen einige Unternehmen aus der momentanen Situation Profit zu schlagen. Wenn die Politik hier nicht entschlossen gegensteuert, laufen wir Gefahr mit der Antwort auf die Coronakrise andere Krisen zu verschärfen: So hatte die globale Ungleichheit vor Corona ihren historischen Höhepunkt erreicht und die Klimakrise stellte einen traurigen Temperaturrekord nach dem nächsten auf. 

Wie ein Brennglas hat Corona nun die Folgen dieser Ungleichheit in den Fokus gerückt. Während für einige – dank sicherer Jobs, großer Wohnung oder aufgrund ihres Alters – die Krise sich hauptsächlich durch einen Verzicht auf liebgewonnene Bequemlichkeiten bemerkbar macht, bedroht sie andere existenziell. Was schon innerhalb von Deutschland gilt, gilt beim Blick über die Landesgrenzen erst recht: Während das deutsche Gesundheitssystem zwar an der Sparpolitik und Privatisierungen der letzten Jahre krankt, könnte ein größerer Ausbruch von COVID-19 in vielen Ländern des globalen Südens schnell zu einer humanitären Katastrophe führen.

Gleichzeitig führt die Krise uns jeden Tag aufs Neue vor Augen, dass es Menschen in oft unterbezahlten Berufen sind, die die wirklichen Stützen unserer Gesellschaft sind: Pfleger*innen und Erzieher*innen, Kassierer*innen und Angestellte in der Stadtverwaltung, Krankenhauspersonal und Busfahrer*innen, um nur einige von ihnen zu nennen. 

In den Wochen und Monaten vor Corona prägte dazu die Klimakrise die öffentliche Debatte. Zurecht, denn nur ein Jahr nach dem deutschen Dürresommer brannten im Amazonas, in Russland und Australien Wälder in einem nie dagewesenen Ausmaß. Millionen von Schüler*innen protestierten Woche für Woche für mehr Klimaschutz und es sah so aus als würde nach dem Hambacher Forst das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 zum Schauplatz großer Proteste der Klimagerechtigkeitsbewegung werden. 

Die oft gehörte Forderung von Politiker*innen und Konzernchef*innen nach einer schnellstmöglichen Rückkehr zum Status vor der Krise ist daher genauso falsch wie gefährlich. Mit unserer Antwort auf den Corona-Schock müssen wir den Grundstein für eine gerechtere, gesunde und umweltfreundliche Zukunft legen. Dabei muss gelten: Wenn mit Steuergeldern Unternehmen geholfen wird um die Wirtschaft wieder aufzubauen, müssen Gesundheit, Arbeitsplätze und Umwelt an erster Stelle stehen. 

Doch schon jetzt sehen wir wie einzelne Unternehmen und Branchen die Interessen von Aktionär*innen vor die Sicherung von Arbeitsplätzen stellen und alles daran setzen den Klimaschutz um Jahre zurück zu werfen. Allen voran die deutsche Automobilindustrie. Während die Chefs von BMW, Daimler und Volkswagen zu den ersten zählten, die staatliche Hilfe für ihre Unternehmen in Anspruch nahmen, kündigten sie an trotzdem Milliarden an Dividenden an ihre Aktionär*innen ausschütten zu wollen. In anderen Worten: Steuerzahler*innen sollen für die Kosten der Kurzarbeit aufkommen, während Investor*innen weiter Milliarden einstreichen. Bei BMW kommt hier noch ein pikantes Detail hinzu: Fast die Hälfte der BMW Aktien sind im Besitz von nur zwei Personen, Susanne Klatten und Stefan Quandt. 2018 bekamen beide zusammen über eine Milliarde Euro Dividende. Anders ausgedrückt: mehr als 3 Millionen Euro pro Tag. Auch wenn die Dividende dieses Jahr geringer ausfallen wird, muss die Politik jetzt klare Bedingungen an Staatshilfen stellen: wem aus Steuergeldern geholfen wird, muss Arbeiter*innen statt Aktionär*innen schützen. 

Wie das gehen kann hat die Europäische Zentralbank vorgemacht. Ende März tat EZB-Chefin Christine Lagarde etwas bemerkenswertes: Lagarde forderte Banken auf, bis auf weiteres auf Bonuszahlungen und Dividendenausschüttungen zu verzichten. Die Begründung hierfür war naheliegend: solange Banken die Milliardenhilfen der EZB zur Bewältigung der Corona-Krise in Anspruch nehmen, können sich Banker*innen nicht gleichzeitig Bonus- und Dividendenzahlungen in Millionenhöhe genehmigen. 

In der Bewältigung der Krise fällt der EZB eine besondere Rolle zu. Schon jetzt hat die Bank Milliarden in die Finanzmärkte gepumpt um die unmittelbaren Folgen der Krise abzufedern. Es werden nicht die letzten Finanzspritzen bleiben. Die riesigen Summen, die zur Zeit mobilisiert werden, bestimmen wie unsere Wirtschaft und Gesellschaft von morgen aussehen. Die EZB muss die Weichen so stellen, dass die Milliarden, die jetzt fließen die soziale Ungleichheit und die Klimakrise bekämpfen. Ein im März veröffentlichter Report zeigt, dass europäische Banken seit dem Pariser Klimaabkommen mehrere hundert Milliarden Euro in Kohle-, Öl-, und Gasprojekte auf der ganzen Welt investiert haben. Allein die Deutsche Bank steckte zwischen 2016 und 2019 fast 70 Milliarden US Dollar in solche Projekte. Wenn die EZB diese Banken jetzt mit gewaltigen Summen unterstützt, muss sie dies an klare Bedingungen knüpfen. Nur wenn die Banken sich verpflichten zukunftsfähige Jobs und eine nachhaltige Energie- und Mobilitätswende für alle zu finanzieren, dürfen diese Mittel fließen. Es dürfen keine Gelder an Projekte und Unternehmen gehen, die die Klimakrise befeuern.

Die Doppelkrise aus Ungleichheit und Klimawandel machen wegen Corona keine Pause. Im Gegenteil. Die politischen Antworten von heute bestimmen unsere Welt von morgen. Deshalb darf die Politik jetzt nicht den kurzfristigen Profitinteressen einiger weniger auf Kosten der Arbeitnehmer*innen nachgeben. Staatshilfen aus Steuergeldern müssen denen zugute kommen, die für sie zahlen: der Bevölkerung. 

Wer wie die Automobilindustrie die Coronakrise als Vorwand nimmt um die Lockerung von Klimazielen auf Kosten zukünftiger Generationen zu fordern, kann nicht auf die Unterstützung der Allgemeinheit hoffen. Wer weiterhin in Unternehmen und Projekte investiert, die den Klimawandel anheizen, sollte dafür nicht die Finanzhilfen der Europäischen Zentralbank in Anspruch nehmen können. Stattdessen sollten wir die Coronakrise zum Anlass nehmen, denen die uns durch diese Krise bringen endlich die Wertschätzung zuteil werden lassen, die sie verdienen und eine anständige Bezahlung in Pflege, Medizin, Verwaltung, im öffentlichen Nahverkehr oder bei der Stadtreinigung zur Selbstverständlichkeit werden lassen.