Vor dem Hintergrund der Auswirkungen von Klimawandel und COVID-19 haben Politiker:innen aus aller Welt am Montag, dem 19. Juli die Global Alliance für a Green New Deal (GGND) ins Leben gerufen . Das Bündnis wurde anderem von der US-amerikanischen Abgeordneten Ilhan Omar, der brasilianischen Abgeordneten Joênia Wapichana und der französischen Politikerin Manon Aubry gegründet und hat zum Ziel, die weltweite Entwicklung hin zu einer gemeinschaftlichen Sozial-, Wirtschafts- und Umweltpolitik des Wandels voranzubringen.
Dem geht eine ganze Reihe besorgniserregender Ereignisse voraus: Das Jahrhunderthochwasser der letzten Woche in Deutschland und Belgien mit über 170 Toten und zahlreichen Vermissten erschütterte Klimaforscher:innen, und die Hitzewellen in Nordamerika in den vergangenen Wochen haben sämtliche Rekorde gebrochen. Letzte Woche wurde gemeldet, dass das Amazonasgebiet mittlerweile mehr CO2 ausstößt, als es speichern kann — eine sehr beunruhigende Entwicklung, die die Wissenschaft auf eine Kombination aus bewusster Brandrodung, steigenden Temperaturen und zunehmender Dürre zurückführt. Die sieben heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen haben wir alle seit 2014 erlebt, und Klimaexpert:innen befürchten, dass eine gefährliche Schwelle überschritten wurde, sodass es zunehmend zu unvorhersehbaren ungewöhnlichen Wetterereignissen kommen wird.
Der brasilianische Präsident Bolsonaro wurde massiv kritisiert, weil er im Amazonasgebiet zu Rodungen ermuntert hatte. Joênia Wapichana Gründungsmitglied des GGND-Bündnisses und brasilianische Abgeordnete, hebt hervor: “Der Amazonas ist der größte Tropenwald der Erde, und ein Drittel seiner Fläche ist Land indigener Gemeinschaften. Der Schutz des Regenwaldes ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass das wichtigste Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht wird — die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.”
Der Grundgedanke hinter dem weltweiten Green New Deal
Die Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens 2015 bezeugte eine nie dagewesene Klimasolidarität, doch es muss ganz klar entschiedener und abgestimmter gehandelt werden. Diese Woche hat die Internationale Energieagentur (IEA) Prognosen veröffentlicht, denen zufolge wir 2023 voraussichtlich die höchsten je erfassten CO2-Emissionen in der Geschichte der Menschheit verzeichnen werden. Zuvor hatte die IEA im April einen Bericht veröffentlicht , laut dem die durch Energieverbrauch bedingten weltweiten CO2-Emissionen allein im Jahr 2021 um 1,5 Milliarden Tonnen ansteigen werden — im krassen Gegensatz zum letzten Jahr, als die Emissionen aufgrund der Corona-Pandemie zurückgingen. Das wäre der stärkste Anstieg der Emissionen seit 2010, als sich die Wirtschaft von der weltweiten Finanzkrise erholte.
In Folge der Krise wurde 2009 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen das Konzept eines Weltweiten Green New Deals erstmals vorgelegt, in dem die Ereignisse in der Welt als “schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise seit mehreren Generationen” bezeichnet werden. Es wird empfohlen, die politischen Maßnahmen auf drei Hauptziele auszurichten: Konjunkturbelebung, Förderung von nachhaltigem, integrativem Wachstum sowie Reduzierung von CO2-Abhängigkeit und Zerstörung von Ökosystemen.
Derzeit erlebt die Welt eine Wirtschaftskrise von ähnlich verheerendem Ausmaß, die durch eine katastrophale Verschlechterung der Umweltkrise und eine weltweite Pandemie noch verschärft wird. Der Weltklimarat (IPCC) warnt, dass die Erde sich in besorgniserregendem Tempo auf einen Temperaturanstieg von 1,5 Grad zubewegt — den Wert, der im Pariser Klimaschutzabkommen als Grenze festgelegt wurde, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern. DIe Gründung der GGND erfolgt somit zu einer Zeit, die von großer weltweiter Ungewissheit, aber auch von der Chance auf tiefgreifende Veränderung geprägt ist.
Die GGND baut auf Prinzipien auf, die in der Declaration for a Global Green New Deal aufgeführt werden: die Notwendigkeit, die Wirtschaft so zu gestalten, dass sie für das Wohlergehen aller sorgt; die Erde, auf der wir alle leben, zu schützen und zu bereichern; Schaffung einer Gesellschaft, die von Fürsorge und niedrigen CO2-Emissionen geprägt ist; Gestaltung eines gerechten multilateralen Systems für das einundzwanzigste Jahrhundert sowie Sicherstellen von Umweltgerechtigkeit und anti-rassistischen Strukturen durch Aufbau einer wahrhaft demokratischen Zukunft. In der Erklärung wird die Gegenwart als Chance hervorgehoben, eine Wende hin zu einer besseren Zukunft zu vollziehen.
Ein grüner politischer Handlungsrahmen, in dessen Mittelpunkt Gerechtigkeit steht
Zentrales Element der GGND-Prinzipien ist das Konzept einer sozial-ökologischen Transformation. Der Begriff bezieht sich im Zusammenhang mit dem Klimawandel auf die Notwendigkeit von Umgestaltungen von politischen Institutionen, Energiesystemen sowie der Praktiken im Bereich Nahrungsmittel und Landwirtschaft. Es soll um die Menschen und Gemeinschaften gehen, die am wenigsten Verantwortung für den Klimawandel tragen, aber am stärksten durch seine Folgen gefährdet sind. Die gesicherte Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser wird zunehmend schwierig und trifft den Süden der Welt unverhältnismäßig stark. Verschärft wird diese Problematik durch die industrielle Nahrungsmittelerzeugung, die übermäßig stark auf fossile Brennstoffe setzt und durch Rodungen erheblich zum Klimawandel beiträgt.
Das Konzept der Klimagerechtigkeit sieht die Bekämpfung des Klimawandels durch den Übergang zu einer zu 100 % dekarbonisierten Gesellschaft, bei dem wirtschaftliche, politische und soziale Ungerechtigkeiten mitangegangen werden. Besondere Relevanz hat dies für Asien, denn dort lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung. Die Gesellschaften sind stark auf natürliche Ressourcen und Landwirtschaft angewiesen, und es gibt zahlreiche dicht bevölkerte Städte und Küstengebiete. Außerdem erlebt der Kontinent in letzter Zeit ein rasantes Wirtschaftswachstum, das auf fossilen Brennstoffen aufbaut.
Dass der Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre drastisch gesenkt werden muss und eine groß angelegte Wende hin zu 100 % erneuerbarer Energie nötig sind, wird kaum noch angezweifelt. Doch mit welcher Vorgehensweise und welchen Maßnahmen die einzelnen Länder zum Erreichen dieses Ziels beitragen, darüber wurde und wird bei unzähligen internationalen Gipfeltreffen beraten, so auch beim anstehenden Klimagipfel (COP26) im November in Glasgow.
Bei der COP26 müssen die Regierungen aktualisierte national festgelegte Beiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) präsentieren, die Maßnahmen, mit denen sie den jährlichen Treibhausgasausstoß in ihrem Land senken werden. Diese müssen auch Mechanismen zur genauen Überwachung und Berichterstattung beinhalten. Aktuell bringen hochentwickelte Volkswirtschaften den Großteil der Mittel für die erneuerbaren Energien auf. Man hofft, dass die Staaten mit dem höchsten Ausstoß künftig auch entschlossener vorangehen und weniger entwickelte Staaten finanziell wie technologisch unterstützen, die weniger Möglichkeiten des Beitragens haben und stärker durch den Klimawandel gefährdet sind.
Beim G7-Gipfel im Juni war das Thema Klimagerechtigkeit sehr präsent. Die sieben teilnehmenden Staaten, die fast ein Viertel der weltweiten Emissionen verursachen, diskutierten über kooperative, nachhaltige wirtschaftliche Wege in die Zukunft. Laut einem Bericht des Internationalen Instituts für nachhaltige Entwicklung vom Juni kamen von 2017 bis 2019 48 % der Mittel zur Finanzierung von Erdgasprojekten im Süden der Welt aus den USA, Japan und China.
Bevölkerungsgruppen in aller Welt, die stärker durch die Auswirkungen des Klimawandels gefährdet sind, wie etwa Frauen und indigene Menschen, müssen berücksichtigt werden, indem ihre Rechte bei der Erarbeitung von Lösungsansätzen eine zentrale Rolle spielen und sie in die Übergangsprozesse eingebunden werden. Bei der Klimagerechtigkeit geht es häufig um die Staaten mit den höchsten und den niedrigsten Emissionen. Im Hinblick auf Gefährdung durch den Klimawandel und Verantwortung für den Treibhausgasausstoß sind jedoch die Unterschiede innerhalb eines Landes manchmal genauso stark ausgeprägt wie die zwischen verschiedenen Ländern. Die Global Alliance kommt also zur richtigen Zeit — sie ist translokal, verbindet Menschen über Grenzen hinweg und trägt zur Entstehung einer intersektionalen Dekarbonisierungsbewegung bei.
Verschärfung der Klimakrise durch Corona
Die Pandemie bietet die Chance für tiefgreifende Veränderungen von nie dagewesenem Ausmaß und unterstreicht, dass ein sozial-ökologischer Wandel hin zu einer nachhaltigeren, gerechteren Wirtschaft und Weltgesellschaft nötig ist. Sie hat zwar große Ungewissheit und Unruhe auf der ganzen Welt verursacht, aber auch bereits zuvor bestehende Ungleichheiten hervorgehoben und verschärft.
Dass ein Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlicher Gesundheit besteht, ist nun klarer als je zuvor. Menschen in Entwicklungsländern sind stärker von Gefährdungen und Gesundheitsrisiken aufgrund von Naturkatastrophen und Extremwetterereignissen bedroht, Luft und Trinkwasser sind dort häufiger verschmutzt. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation wird es von 2030 bis 2050 klimawandelbedingt allein durch Mangelernährung, Malaria, Durchfallerkrankungen und Hitzestress 250.000 zusätzliche Tote geben. Verschärft wird dies durch den oft eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsfürsorge und ärztlicher Versorgung in Gegenden, die vom Klimawandel stark betroffen sind.
Asiatische Länder leiden stark unter den Auswirkungen der Pandemie, schwache Führungsstrukturen sowie unzureichende Infrastruktur verschlimmern die Krise. Große asiatische Finanzinstitutionen bauen ihre Kohle-, Öl- und Gasprojekte weiter aus, während Regierungen in der Region bei Verpflichtungen zu Netto-Null-Emissionen hinterherhinken und an emissionsintensiven Entwicklungsprojekten festhalten — insbesondere solchen, die auf Erdgas setzen — mithilfe von Konjunkturpaketen, die der Erholung von der Corona-Krise dienen sollen.
Der Sustainable Recovery Tracker, den die IEA diese Woche veröffentlichte, zeigt, dass Regierungen auf der ganzen Welt die beispiellose Summe von 16 Billionen US-Dollar für den Wiederaufbau ihrer Volkswirtschaften nach der Pandemie ausgegeben haben — von denen aber lediglich 2 % für saubere Energie bestimmt sind. Dr. Fatih Birol, geschäftsführender Direktor der IEA: “Die Investitionen in saubere Energie liegen nicht nur weit hinter dem zurück, was für das Ziel Netto-Null-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts notwendig wäre — sie reichen noch nicht einmal aus, um das Hochschnellen der weltweiten Emissionen auf Rekordhöhe zu verhindern.”
NGOs setzen sich seit Mai letzten Jahres für einen “gerechten Weg” aus der Corona-Krise ein. Damals forderten über 500 Organisationen, dass bei der Krisenbewältigung bestimmte Grundsätze im Mittelpunkt stehen. Dadurch sollte der Schwerpunkt auf der Gesundheit der Menschen liegen, es soll sichergestellt werden, dass wirtschaftliche Hilfe direkt bei den Menschen ankommt und dass mit den Hilfspaketen die WIderstandsfähigkeit gegen künftige Krisen einschließlich Klimawandel gestärkt und Solidarität in der Zivilgesellschaften gefördert wird.
Im Sinne dieser Grundsätze bringt das GGND-Bündnis Politiker:innen aus 21 Ländern der Welt zusammen, die überzeugt sind, dass sich die Klimakrise nur durch abgestimmtes, kooperatives Vorgehen sinnvoll angehen lässt. Wenn die Länder ihren weiteren wirtschaftlichen Weg nach der Pandemie planen, sollen sie auf faire, angemessene Maßnahmenpakete setzen. Die MItglieder der GGND werden im jeweiligen nationalen Rahmen an der Förderung von Maßnahmen gegen die “Zweifachkrise” aus Corona und Klimwandel arbeiten. Das Bündnis will sich aber auch weltweit um Unterstützung bemühen, um den nötigen systemischen Wandel zu realisieren und “einen neuen Internationalismus zu schaffen, der auf Zusammenarbeit aufbaut.”.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat schon früher darauf hingewiesen, dass Corona-Rettungspakete die Möglichkeit für eine politische Neuausrichtung im Sinne des Klimaschutzes bieten. Und während politische Führungen aus aller Welt vom Klimagipfel COP26 im November in Glasgow ein Signal für weltweite Zusammenarbeit im Bereich Impfstoffe und Umschuldungen für Entwicklungsländer erwarten, ruft die Global Green New Deal Alliance dazu auf, bereits jetzt tatkräftig zu handeln. “Jetzt ist der Moment, wirklich alles zu geben”, erklärt Caroline Lucas, Gründungsmitglied und britische Abgeordnete. “Es geht darum, das Leben auf der Erde besser zu machen. Und das schaffen wir nur, wenn wir zusammenarbeiten wie nie zuvor.”